12.01.2017  /  Jan  /  Kategorie: Podcasts

Wir befinden uns im Jahre 2017 n.Chr. Ganz Berlin hallt von teutonischer Marschmusik wider… Ganz Berlin? Nein! Einige Unbeugsame bringen den Funk und hören nicht auf, der Quantisierung Widerstand zu leisten. Ganz vorne an der Front stehen Africaine 808, auf die ich Ende 2015 durch ihre “Rhythm Is All You Can Dance EP” aufmerksam geworden bin. African Acid, dachte ich spontan. Modern, subversiv und originell. Obwohl es klar ein Blickwinkel aus der westlichen Welt war, tappte diese Musik in keine gängige folkloristische Weltmusikfalle. Denn die Tracks hatten unterschwelligen Kontext, das war zu hören. Seitdem verfolge ich ihre Veröffentlichungen. Höhepunkt ist das letztjährige Debütalbum “Basar”: Wie der Name schon vermuten lässt, ist es bunt gemischt. Wie auf einem Basar gibt es Zutaten aus aller Welt, es ist laut, geschäftig und schnell. Genauso kann man auch die regelmäßige Partyreihe VULKANDANCE bezeichnen, die von Hans Reuschl und Dirk Leyers, den beiden Köpfen hinter Africaine 808, betrieben wird und in Berlin die Partynächte subtropisch werden lässt. Doch wie staubt man den Begriff Weltmusik ab? Wo diggt man Zouk und Latin Music unter dem Radar? Und warum wird 2017 ein spannendes Jahr für Africaine 808? Im Gespräch mit Hans Reuschl alias Street Artist Nomad, der übrigens auch den einstündigen Mix aus Vulkandance-Classics für uns zusammenstellte. Mix und Trackliste am Ende des Artikels.

Nomad, Dirk Leyers, eine TR808 und eine Handvoll Platten – ist das Africaine 808?
Es fing alles ganz banal als die Freundschaft von zwei Typen an, die gegenseitig ihre Platten und Produktionen schätzten. Wir waren schon 12 Jahre befreundet bevor wir uns zusammen ins Studio gesetzt haben. Dirk hat mich mehr oder weniger regelmäßig gefragt ob wir nicht was zusammen machen wollen und ich hatte aber mehr Bock auf Grafitti und Auflegen und ziemlich die Schnauze voll von der Musikindustrie die ich seit 1995 ausgiebig kennenlernen durfte. Dirk hatte auch einige Abfucks hinter sich, und der Konsens war bei uns beiden halt einfach mal auf Szene, trends und Industrie zu scheissen und einfach unsere beiden Engineering Skills und unterschiedlichen musikalischen Horizonte kollidieren zu lassen und zu sehen was dabei rauskommt. Eigentlich ist Africaine 808 ein Jazzprojekt, zumindest was die Zielsetzung angeht. Es ging uns immer um Freiheit und Weiterentwicklung an Hand von Neugruppierung musikalischer DNA-Ketten und weniger um erfolgsorientierte Wiederholung gängiger Muster. Afrika ist für uns symbolisch Ursprung von Populärmusik und Rhythmuskultur. Die 808 steht für eine Zeit des technischen Aufbruchs in der Musik. Die Kombination aus beiden war für uns ein Sinnbild der Musik die wir in unseren ersten gemeinsamen Sessions erschaffen haben.

Wie seid ihr zur TR808 gekommen? Und ehrlich: Gibt es einen Track von euch ohne Sounds dieser Drummachine?
Die 808 ist nur eine Zahl. Das Schöne an ihr ist das sie aus drei Unendlichkeitssymbolen besteht. Einer Null (Symbol für das weibliche Prinzip , Ororobos) und 2 Achten (Ebenfalls Schlangen die sich in den Schwanz beissen). Das ganze ist visuel numerologisches Voodoo. Ein ausgeklügelter Mindfuck. Abgesehen davon sind wir komplett frei in unserer Gestaltung. Manchmal darf die 808 mitspielen, manchmal steht sie in der Ecke und schmollt, wenn wir z.B. 606 Snares abfeiern. (Ich fang jetzt nicht an zu erklären warum 808 besser klingt als 606 sonst eskaliert das zwischen den beiden wieder…)

Africaine 808 – Rhythm is All You Can Dance EP – Golf Channel (2015)

Wie arbeitet ihr künstlerisch zusammen? Gibt es eine klare Aufteilung? Im Studio und bei Auftritten?
Ja. Es hat sich aber auch mit der Zeit geändert und ändert sich eigentlich ständig. Früher war Dirk fürs Musik machen, produzieren und abmischen zuständig – ich fürs Rauchen. Jetzt haben wir für beides Assistenten. Nee im Ernst… es gibt schon Tätigkeitsfelder in denen jeder spezialisiert ist, was natürlich auch mit unserer musikalischen Erziehung zu tun hat. Dirk kann super Gitarre spielen und kann eigentlich alles nach Gehör auf Tasten nachspielen. Ich brauche da etwas länger, bin dafür bei den Beats und der Percussion-Fixer. Trotzdem ist es nicht so, dass dann jeder für sich ein Süppchen kocht… bei uns funktioniert alles auf Zuruf. Jeder darf immer ungefragt seinen Senf dazu geben und Verbesserungsvorschläge einbringen. Das Ended auch manchmal in Gewaltausbrüchen, da wir beide natürlich ordentlich Sendungsbewußtsein haben. Am Besten arbeiten wir dann, wenn wir uns wie besessene Ideen um die Ohren hauen, und uns gegenseitig immer weiter anstacheln, bis der Track fertig ist.
Live ist Dirk für Ableton zuständig und für die Synthsolos und das Coron. Ich programmiere die Drummachine und spiele mit der Maschine Livedrums und Fills ein und mache Overdubs, Effekte und bediene die Dubsiren. Wenn wir mit der ganzen Band spielen übernimmt Eric (Owusu) die Percussion und Dodo (N’Kishi) die Drums und Dirk und ich den Rest.

Nomad, du machst das Artwork für eure Platten. Wovon lässt du dich inspirieren?
Von allem , bzw. Nichts. Ich sehe mich nie nach Inspiration um, es ist eher so das Inspiration immer um uns und in uns ist. Musik und der Kosmos sind genug Inspiration. Mein grafischer Stil hat sich durch viele Jahre von talentlosem Grafitti und Streetart malen entwickelt. Ich bin schon immer ein Fan von Markern und Tags gewesen. Irgendwann waren mir Tags halt nicht genug und ich habe angefangen Charactere, also Figuren zu “schreiben”. Die Straße war jahrelang mein Spielplatz und ich habe durch die ständig wechselnden Oberflächen und Umstände gelernt, mein Improvisationstalent zu üben. An der Wand kannst Du keine Fehler machen. Es ist kein Blatt Papier, das Du wegwerfen kannst. Es ist wie beim Auflegen oder Live spielen. Inspiration kommt dadurch, dass man Sie zulässt und keine Angst hat “Fehler” zu machen. “Fehler” sind ein Geschenk. Der Beginn für etwas Neues.

Artwork des Albums Basar (2016)

Wenn ich „Weltmusik“ sage, rümpfen viele die Nase. Euer Album „Basar“ zeigt in seiner Frische und Vielfalt, dass man auch originell sein kann. Wie haltet ihr euren Zugang frisch?
Wir denken einfach nicht drüber nach. Ganz einfach. Wir sind einfach nur zwei Heinis die halt Musik lieben. Also schon sehr sehr extrem lieben und leben. So mit Selbstaufgabe, Passion, Grenzwertbereichen und allem drum und dran. Das geht seit Jahrzehnten mit am absoluten Existenzminimum entlangschrabbeln bis heute so… Alles Geld was wir jemals hatten geht in Instrumente und Tonträger (für Dirk seit ein paar Jahren auch in Instrumente und Tonträger für seine Tochter).”Frisch” kann man nur durch Freude am spielen sein, und die Begeisterung reißt einfach mal nicht ab. Es gibt immer noch unendlich viel zu lernen.

Wo geht ihr in Berlin diggen? Lohnt sich das überhaupt noch?
Ich gehe meistens zu den Berliner Second Hand Läden und habe manchmal auch selber einen Stand auf Plattenbörsen. Auf Flohmärkte in Berlin gehe ich nur im Sommer und auch ohne Druck… Die Luft ist da größtenteils raus. Regelmässig gehe ich in Paris zu “les puces” in Clignancourt… und dort meistens zu den gleichen 4 Ständen, wo ich immer mit ca. 25 Dingern heimkomme. Neulich hatten wir in Tel Aviv Glück und haben eine Compas/Islandsdisco/Soca Sammlung, welche ein Ladenbesitzer von einem Haitianer in New York gekauft hatte, durchgekämmt. Mittlerweile tausche ich viel mit Freunden und anderen Sammlern über unsere VULKANDANCE Facebookgruppe. Heute hab ich eine Janet n’Diaye LP (die mittlerweile auf Discogs für 500 Euro steht, die ich aber für 40 bekommen habe) gegen 3 nigerianische Electro Highlife Tophitters mit einem Freund in Australien getauscht. Momentan kaufe ich viel unbekannten Under-The-Radar Zouk, Electrohighlife, Electrosoukousse, Nigerianischen Digi Dub und Reggae sowie Congotronics…. also viel Afro und French Antilles-Musik mit und ohne Drummachines.

Was hast du konkret zuletzt gediggt?
Meine Highlights der letzten Wochen:
– Joe King Kologbo – Sugar Daddy
– Jo Kester Emeneya – Same
– Sangazuza de Sao Tomé et Principé
– Three Points – Ha C’est Bon
– Tallest &Modjo – Yesterday Today
– La nina Emilia – Congo’E
– Ugbo Ekhator – Uwakiemen
– Les Shleu Shleu – Celebration
– Fleurs Musicales de Cameroon Compilation

Vulkandance ist eure Partyreihe in Berlin. Bestimmt nicht einfach in einer Stadt, in der House und Techno aus jedem Modegeschäft schallt. Wie habt ihr angefangen? Was ist euer Anspruch?
Jup. Wir waren die ersten die in Berlin Tropical Parties geschmissen haben…es ist verrückt aber jetzt sind es tatsächlich schon 8 Jahre. Das Ding ist aus der Notwendigkeit entstanden Menschen was anderes zu bieten als den Business Touri Techno Einheitsbrei. Natürlich war es schwer erstmal eine Szene zu bilden, aber mittlerweile gibt es Gottseidank immer neue Crews und Läden, die diesen Microcosmos ausweiten. Dieses Jahr wird es eine neue Partyreihe zusammen von VULKANDANCE und der DAS ZÜNDET-Crew geben, bzw. haben sich DJ Diskohengst (aka MC Shacke One für die Hip Hopper unter euch), Edna Martinez, Coco Maria und ich zusammengetan, um das Ding mal auf den nächsten Level zu heben. Bei den letzten Parties hatten wir öfter das Problem, dass es sehr früh zu voll wurde. Deswegen wollen wir die neue Partyreihe in einer anderen Location und mit zwei Dancefloors beschallen.Der Mainfloor wird mit Tropical Musik, Afrofunk, Soukousse, Kadance, Gwo Ka, Zouk, Afrodisco, Electro Highlife und dazwischen auch mal Afrohouse und Kuduro beschallt. Der zweite floor eher mit Vintage Latin + Brazil. Konzept ist wie bei VULKANDANCE und DAS ZÜNDET auch, dass es um Familie und Qualität geht. Wir laden nur Leute ein die wir kennen. Aber wir kennen die Besten ;). Residents kommen also wie bei VULKANDANCE auch aus dem Sofrito, Tropical Discoteque und Highlife Umfeld und natürlich werden unsere liebsten Kolleginnen und Kollegen aus Berlin und Restdeutschland auch regelmässig dort zu Gast sein. Die Partyreihe wird KRÉYOL heißen und monatlich zwischen Loftus Hall und dem Humboldthain-Club pendeln. Die Idee ist also die ganze Stadt zu involvieren und Nord und Süd-Berlin zusammenzubringen. Jeden 2. Donnerstag gibt es ab dem 19.1. dann auch die “KRÉYOL DINNERS” im Craft & Smoke auf dem RAW in Friedrichshain, das wird sozusagen unser Donnerstags-Hangout mit der ganzen Crew, mit Créole BBQ, Dinner und natürlich Afro/Latin/Tropical Music. Los gehts am 19.01. im Craft & Smoke mit Edna Martinez, DJ Coco Maria und mir. Dann jeden 2. Donnerstag mit wechselnder Besetzung. Am 03.03. steigt dann die erste große “KRÉYOL” Party mit ÉMILE OMAR von Tropical Discotéque/Radio Nova, Paris, MC Santana, DJ Diskohengst, Coco Maria, Edna Martinez und mir.

Was können wir außer mehr Partys 2017 noch von euch erwarten?
Es kommen demnächst einige heftige Remixe raus. Tony Allen hat uns beauftragt seinen Hit ” Africa Disco Beat” zu bearbeiten. Wir haben uns nicht lumpen lassen und den gesamten Track elektronisch nach- bzw. umgebaut. Das Ganze kommt im Rahmen einer Jubiläums-LP auf Comet raus.

Für einen kongolesischen Film namens “Felicité”, in dem es um eine Sängerin und Mutter in Kinshasa geht, haben wir einen der Soundtrack-Stücke geremixed. Der Film und das Album zum Film werden bei der Berlinale vorgestellt, wo wir auch Live spielen werden. Unser Remix ist vom Track “In Praise ” – er ist ziemlich rockig geworden. Mein persönlicher Lieblingstrack des noch jungen Jahres ist unser Remix für das neue AMADOU + MARIAM Album. Dafür gibt es aber noch keinen Veröffentlichungstermin. Eigene Stücke und Ep’s wird es auch bald wieder geben. Die Richtung die wir mit der 12″ “VS.” auf Mawimbi Records eingeschlagen haben wird noch weitergeführt. Es wird also nach dem Jahr unseres Debütalbums mehr in Richtung 12″ und DJ tools gehen. Dazu wird, so wie es aussieht, auch unser Label VULKANDANCE RECORDS wiederbelebt werden, da wir nun von Golf Channel endgültig weg sind, und das Ruder von jetzt an wieder selbst in die Hand nehmen. Ansonsten hoffe ich das wir uns auf nem Festival oder einer Party sehen!

PEACE OUT

Tracklist
1. Joachim Boya – Alphabetisation
2. Tallest &Modjo – Nouvelle Generation
3. Saint Louck – Sonononimo (Vulkandance Dubplate Edit)
4. Shina Adewale Edit – James Stewart & Chylorama
5. Sangazuza – Sun Malé
6. Petrona Martinez- El Congo
7. Voukoum – Zaza
8. Rastocle – Mizik (Nomad’s VIP Edit)
9. Pulsation – Hidden Track
10.Richard Cassin – dansez biguine
11.Super Boiro Band – So I Si Sa
12.Abelardo Carbono – Carolina