19.09.2016  /  Sascha  /  Kategorie: Podcasts

Jochen Discomeyer, das klingt erstmal nach Spaßprojekt. Nach einem dieser Wortspiele, die einem nach drei Bier unter Freunden zu guter Musik in den Kopf schießen. Doch der Berliner Hendrik Stein zieht’s durch und legt seit langem unter genau diesem Namen alles von House über Cosmic bis hin zu Disco auf. Und Spaß machen seine DJ-Sets tatsächlich, weil sich hier auch im vollsten Club nicht nur offensichtliche Hits, sondern vor allem vergessene Klassiker an übersehene Raritäten reihen. Immer im Takt, stets im Flow. Lange Zeit war Jochen Discomeyer zudem Host der Audiopilot-Show auf BLN.FM, obendrein veranstaltet er gemeinsam mit Charlie Smooth die Disco Train-Nächte im Crack Bellmer und schafft tagsüber bei HHV. Über all das und einiges mehr sprachen wir mit ihm anlässlich seines wunderbar fluffigen Ashorecast #52, der perfekt den Spätsommer abrundet.

Jochen Discomeyer Photo by Mathias Meyer

Jochen, mit deiner Sendung Audiopilot hast du dich auf BLN.FM dreißig Folgen lang mit Musik aus den unterschiedlichsten Ländern beschäftigt. War das Konzept irgendwann durchgespielt oder warum gibt’s die Sendung nicht mehr? Und hast du derzeit wieder Ambitionen in Richtung Radio?
Das hat natürlich mehrere Gründe. Zum einen hat sich das Konzept nach 30 Sendungen tatsächlich ein wenig ausgelutscht. Dazu kam aber auch, dass mir immer mehr die Zeit und die Energie gefehlt haben, jeden Monat so einen hohen redaktionellen Aufwand zu betreiben. Als ich damals in der Musikredaktion bei BLN.FM und später mit der Sendung angefangen habe, hatte ich ein wenig gehofft, dass jetzt die fetten Bookings und die Technomillionen winken. Eine Online-Radiosendung ist aber eben doch auch nur eine Online-Radiosendung. Auch die rein elektronische Ausrichtung des Senders, wurde für mich irgendwann zum Problem, denn dadurch habe ich mich eingeschränkt gefühlt, als ich angefangen habe wieder mehr Disco und Balearic zu diggen. Am Ende bin ich ganz froh, diese Entscheidung getroffen zu haben.
Es ist allerdings auch sehr schön, dass ich heute noch Menschen kennenlerne, die meine Sendung gehört haben und dadurch die ein oder andere Sache für sich entdecken konnten. Das Kapitel Radio ist damit aber definitiv nicht abgeschlossen und es gibt derzeit tatsächlich ein paar Ideen für ein neues Format. Da das aber alles gerade noch nicht spruchreif ist, kann ich dazu gerade nicht mehr sagen. Falls das hier aber gerade jemand liest, der/die einen Sender betreibt, würde ich mich sehr über eine Mail freuen.

Als Teil des HHV-Teams arbeitet du mit in der IT-Abteilung. Wie sieht deine Arbeit genau aus und wie sehr beeinflusst der Job deinen Musikgeschmack und Kaufverhalten?
Als IT’ler macht man natürlich in erster Linie so nerdigen Kram, der sich in meinem Fall viel um Datenbanken, Administrations-Tools und Backend-Themen drehte. Natürlich war es dabei schön, immer einen Musikbezug zu haben, denn das hat mich für lange Zeit sehr motiviert. Anfang des Jahres hatte ich allerdings das große Glück, in den Musikeinkauf wechseln zu können und das passt wie Arsch auf Eimer. Damit ist auch ein Stück weit ein Traum in Erfüllung gegangen. Hier betreue ich Vertriebe in den Bereichen Techno, House, Afro, Brazil, Library und Jazz. Wenn mir neben dem Tagesgeschäft noch die Zeit bleibt, versuche ich Releases von Künstlern und Labels zu akquirieren, die mir selber am Herzen liegen und das macht schon ziemlich großen Spaß.
Mein Kaufverhalten wird davon natürlich Maßgeblich beeinflusst und ich kaufe eine Menge Musik im Moment. Die aktuelle Reissue-Welle, die seit knapp einem Jahr über uns hereinbricht, halte ich für eine großartige Sache, obwohl es sich manchmal so anfühlt, als ob alle gleichzeitig die gleichen megararen Tracks auflegen, die gerade auf irgendeiner Compilation wiederveröffentlicht wurden. Ich versuche daher so oft es geht Used-Vinyl und vor allem auch Alben zu diggen.

Gernot Guacamole Photo by Paul Schwuchow

Man hört dich häufig zusammen mit Charlie Smooth auflegen. Wie habt ihr zusammen gefunden und warum funktioniert das Back2back-Ding bei euch so gut?
Ich habe Charlie irgendwann letztes Jahr durch eine sehr gute gemeinsame Freundin auf einer Get Deep-Party im ://about blank kennengelernt, wo er ja das Booking macht. Bis zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass das 4/4-Diktat in Berlin wohl niemals aufzubrechen sein wird, aber ich habe auf dieser Party gelernt, dass Vibe, Respekt und Freundschaft ganz offensichtlich wesentlichere Bestandteile einer Party sind, als fette Techno-Bookings, die Leute ziehen – auch wenn das ziemlich abgedroschen klingen mag.
Charlie ist ein extrem offener Typ, der als Booker, wie auch als Mensch bereit ist, Wagnisse einzugehen, um seinen Traum zu leben, was man übrigens auch in seinen Sets hören kann. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis ich ihn irgendwann mal ins Crack Bellmer eingeladen hab. Wir haben die ganze Nacht Back2Back gespielt. Danach hatten wir beide ziemlich große Lust auf mehr davon. Glücklicherweise haben das auch die Menschen im Club und der Booker gespürt und seit dem rollt unser Disco Train.
Neben Charlie gibt es natürlich noch andere Menschen mit denen ich gerne Back2Back spiele und habe zunehmend auch immer weniger Lust, alleine aufzulegen. Vor allem wäre da natürlich Menqui, den ich für einen der besten Selectors Berlins halte und mit dem ich so eine Art Podcast-Reihe betreibe. Wenn die Chemie stimmt, sind ausgedehnte Back2Back Sets mit Menschen, die dafür offen sind, eigentlich das Beste, was einem passieren kann. Man lernt andere interessante Platten kennen, fängt sich gegenseitig auf, wenn man mal unsicher ist und – vielleicht das wichtigste – man verabschiedet sich von so nutzlosen Dingen, wie seinem Ego.

Disco Train Flyer Daniel Wang

Mit Disco Train veranstaltet ihr zudem eine eigene Partyreihe im Crack Bellmer. Wie hat das Ganze gestartet und wie wählt ihr eure Gäste aus? Gibt es noch Wunschkandidaten, die bislang nicht bei euch zu Gast waren?
Wie schon gesagt, hatte ich damals schon ein paar Mal im Crack Bellmer gespielt und hatte die Chance, Charlie einzuladen. Peter, der Booker dort, hat mir von Anfang an großes Vertrauen entgegengebracht und mir auch geholfen, anfängliche Unsicherheiten hinsichtlich “anderer” Musik im Club-Kontext zu überwinden. Als er Charlie und mich gehört hat, hat er uns sofort eine regelmäßige Veranstaltung vorgeschlagen und so kam die Sache ins Rollen. Charlies Netzwerk aus dem Get Deep-Umfeld ist natürlich eine wichtige Komponente unserer Booking-Strategie (falls es sowas überhaupt gibt), aber prinzipiell lassen wir dort Menschen spielen, von denen wir glauben, dass sie Disco, Boogie, Italo und alles dazwischen spielen können und wollen (auch wenn sie normalerweise vielleicht für einen anderen Sound bekannt sind). Wir nennen es gerne Soulful Music, denn Genres sind uns dabei gar nicht so wichtig.
Eine weitere Komponente ist natürlich auch, dass es menschlich passt und die Leute auch Bock darauf haben. Ich denke bis jetzt hat das hervorragend funktioniert und es gab schon einige Magic Moments und spontane Back2Back-Sets, was uns viel wichtiger als große Namen auf dem Flyer ist. Natürlich wäre es schön, mal den ein oder anderen meiner Helden zu buchen. Bei mir wären das zum Beispiel Al Kent, Mr. Mendel, MCDE, Tama Sumo oder Prosumer, aber das Crack Bellmer ist nicht das Berghain und wir sind bis jetzt mehr als zufrieden, mit den Gästen, die wir bis jetzt hatten. Außerdem kommt “Nie” in unserem Wortschatz nicht vor. Und damit, dass wir Daniel Wang auf unserer ersten Veranstaltung hatten, ist ja zumindest schon mal ein Traum in Erfüllung gegangen.

Jochen Discomeyer Photo by Mit Vergnuegen

Was hat es mit deinem Alias Gernot Guacamole auf sich? Warum ein weiterer Name und gibt es vielleicht noch andere, von denen wir bis jetzt gar nichts wissen?
Eigentlich ist Gernot Guacamole ein Relikt aus der Zeit, als ich vorwiegend Techno und House aufgelegt habe und der Wunsch auch mal ein wenig chilligere Musik zu spielen immer stärker wurde. Obskure Platten aus den Bereichen Disco, Soul, Funk, Balearic oder eben auch Schlager sind schon immer so’n kleines Laster von mir gewesen und ich wollte den Menschen, die meistens schon Probleme damit haben, Jochen Discomeyer musikalisch einzuordnen, das Leben nicht noch schwerer machen. Im letzten Jahr haben sich Gernot und Jochen aber musikalisch schon ein bisschen angenähert. Im Prinzip ist Gernot Guacamole sowas wie Jochen Discomeyer Barfuß am Strand. Gernot ist es im Gegensatz zu Jochen auch nicht so wichtig, dass die Leute tanzen. Wenn das bescheuert klingt, dann hab ich es vermutlich richtig beschrieben. Ansonsten gibt’s da noch so ein anderes Pseudonym, das noch nicht besonders alt ist und nur zu besonderen Anlässen zum Einsatz kommt.

Danke für deinen Mix! Wie und wo hast du ihn aufgenommen, gab es vorab ein Konzept?
Danke, dass ihr mich gefragt habt! Eigentlich war der Plan, ein paar Gernot-Platten und ein paar Jochen-Platten in einem Set so aneinanderzureihen, dass man nicht merkt, was für schräges Zeug da eigentlich gerade läuft und vielleicht trotzdem mit dem kleinen Zeh dazu wippt. Am Ende bin ich mit dem Ergebnis sogar sehr zufrieden. Denn ich konnte einige meiner aktuellen Lieblingsplatten und Entdeckungen (Stand: Mai 2016) einbringen und der Mix war nicht so ‘ne krasse Kopfgeburt, wie das normalerweise der Fall ist, wenn ich sowas zusammenstelle.

Wo kann man dich demnächst mal wieder auflegen hören?
An jeden ersten Freitag im Monat rollt unser Disco Train durchs Crack Bellmer. Im Oktober haben wir Guy Dermosessian von Kalakutta Soul zu Besuch, der ja für euch auch schon einen ziemlich genialen Podcast aufgenommen hat und auf den ich mich persönlich sehr freue! Ansonsten gibt es am 24. September noch die Geburtstagsfeier meines guten alten Freundes Flexonaut im Chalet, wo ich vielleicht mal wieder ein Paar House-Platten auflegen werde, und am Tag danach wäre da noch das Crate Diggers Event von Discogs im Prince Charles, wo ich tagsüber mit Charlie Smooth ein paar Platten spielen werde und mich schon sehr auf einen der seltenen Auftritte von Theo Parrish am Abend freue.

Tracklist
Mit Tracks von Mark Barrot, Eddie Hooper, Clear, Martin Dumas Jr, Odyssey, Weldon Irvine, Wendell Harrison und vielen mehr.

Jochen Discomeyer kann man bei Soundcloud und Facebook folgen.

Fotos: Mathias Meyer, Paul Schwuchow und Mit Vergnügen