Gar nicht so leicht, die Musik von Birdy Earns in nur eine Schublade zu packen. So versuchte sich die Website Critical Masses am Ende ihrer wortgewaltigen Review zu seinem Album Structure Studies zwar an einem knappen “RIYL: Aphex Twin, Monopole, Oval, Squarepusher”-Vergleich, doch uns würden auf der Stelle noch locker zehn weitere Acts einfallen, ohne dass einer davon den Nagel wirklich auf den Kopf treffen würde.
Doch wer ist Birdy Earns überhaupt? Derzeit lebt der Produzent in Berlin und ist bislang mit Produktionen auf Labels wie Speaker Footage, Seagrave, Videogamemusic oder Cloud Bank aufgefallen. Außerdem gibt’s ihn auch immer wieder im Doppelpack mit Broshuda zu erleben, der ja schon vor einiger Zeit einen Mix zur Ashorecast-Reihe besteuerte. Dieses Mal ist Birdy Earns an der Reihe und beantwortet gleich noch unsere Fragen rund um sein aktuelles Album und die dazugehörigen Tracktitel, Live-Performances und wie es dazu kam, dass es in seinem Mix unter anderem auch einen Track aus Silent Hill zu hören gibt.
Hey Arne, womit earnt der Bird eigentlich seine Brötchen, wenn er nicht gerade Musik produziert oder live spielt?
Haha, das ist mitunter der ödeste Teil aus meinem Leben. Ich bin zurzeit im sozialpädagogischen Bereich tätig, das heißt, ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen. Es ist cool und macht Spaß und alles, aber ich schätze, dass es nichts für die Ewigkeit ist, auch wenn mir die soziale Schiene zu liegen scheint. Einen konkreten Alternativplan habe ich allerdings noch nicht, haha. Mal sehen, was die Zukunft bringt.
2015 erschien dein Album Structure Studies als Tape auf dem dänischen Label Speaker Footage. Lief das über das klassische Demo-Ding oder wie kam es dazu?
Für mich kam es mehr oder weniger aus heiterem Himmel. Benjamin (Phinery) schickte mir eine E-Mail, in der er mir von seinem Plan erzählte, ein Schwestern-Label (Speaker Footage) ins Leben zu rufen. Er fragte mich, ob ich einen Track zur Launch Compilation beisteuern möchte, an welcher unter anderem Homies wie AyGeeTee, Ondness und der alte Haudegen Broshuda beteiligt sind. Zu dem Zeitpunkt hatte ich tatsächlich recht viele Tracks so gut wie fertig und somit auch einen Track für die Compilation über. Benjamin gefiel er und ich meinte, dass ich noch mehr Zeug von der Art habe. Er war interessiert, woraufhin ich ihm einen Batzen weiterer Tunes rübergesendet habe. Dann kam eins zum anderen. Es war also eher ein semiklassisches Demo-Ding.
Die Titel deiner Tracks (“Mana”, “Isolation”, “Frost”, “Safe” …) sind oft einzelne kurze, aber griffig-stimmige Wörter. Benennst du die Stücke frei und spontan aus dem Bauch heraus oder wie läuft die Titelfindung bei dir in etwa?
In der Regel haben die Titel meiner Tracks oder meiner EPs und Alben immer einen direkten Bezug zu meiner eigenen Lebenswelt. Sie beschreiben die Zeitspanne, in der ich das Zeug aufgenommen habe. Dementsprechend versuche ich meine Gedanken, die ich während der Produktion habe, kurz und knapp für die Tracks zu verbalisieren. Bei “Structure Studies” war es allerdings etwas anders. Da sind es wirklich bloß alleinstehende, und zum Teil kryptische, Begriffe. Ich hatte für mich einen neuen Produktionsstil entwickelt, der erstmal die gesamte Herangehensweise und meine Sicht auf die Dinge verändert hat. Das Ganze fing aber schon bei der Fragments an, die im gleich Stil gehalten ist wie Structure Studies. Bei beiden Produkten habe ich mich von meinen ursprünglichen Arrangements getrennt und Sachen viel freier aufgenommen und editiert als vorher. In dieser Manier haben diese Tracks schlichtweg ihre Arbeitstitel behalten, die ohne großen Gedankenschmalz, zum Abspeichern benutzt worden sind. Es waren rein intuitive Entscheidungen, die sich für die Tracks letztlich richtig angefühlt haben und sie, meines Erachtens, gut genug beschreiben.
Ende letzten Jahres hast du im Acud in Berlin dein erstes Live-Set gespielt. Lief’s gut? Und wie hat sich dein Live-Setup seitdem verändert?
Haha, ja, die Geschichte im Acud war ein mega Spaß! Zugegeben war ich anfangs etwas angespannt, nachdem ich Daniel (shout outs an der Stelle) für die Nebulæ zugesagt hatte, aber witzigerweise war das Lampenfieber verschwunden, als ich im Acud stand. Klar waren ein paar kleine Patzer im Set, aber die haben mich nicht weiter aus der Fassung gebracht. Seitdem weiß ich, dass ich wegen sowas nicht angespannt sein brauche. Die Erkenntnis hat sich auch positiv auf die paar darauffolgenden Live-Geschichten ausgewirkt. Im Acud habe ich zwischen den Songs einige Pausen gelassen, um es ein wenig konzertmäßiger zu gestalten, weil ich wollte, dass meine Tracks beziehungsweise Live-Remixe als solche gesehen werden. Wahrscheinlich wird deutlicher, was ich meine, wenn man sich mal meine Live Remixes bei BandCamp anhört, weil die in dem Stil aufgenommen wurden, wie ich mein Zeug im Acud präsentiert habe. Das war mal ein Versuch, aber davon bin ich jetzt erstmal weg.
Mein Set hat sich dahingehend weiterentwickelt, dass ich mittlerweile Übergänge zwischen meinen Tracks mache, womit ich wieder bei meiner eigentlichen Ausgangsidee gelandet bin: Mein ganzes Material miteinander zu Verbinden, so wie ich es beim Seagrave Stepdown Ende Mai gemacht habe. Also, anstatt bloß die Spuren des jeweiligen Tracks, innerhalb des Tracks, zu manipulieren, bediene ich mich jetzt an allen Elementen, die mein Pool hergibt, um etwas neues aus allen Spuren zu machen. Eine Form von Mega-Mashup-Manipulation des eigenen Soundkatalogs.
Vielen Dank für deinen Mix! Wie und wo hast du ihn aufgenommen?
Gerne! Den Mix habe ich ganz simpel an meinem Schreibtisch in Ableton gebaut, haha. Ich besitze ansonsten nichts groß mit dem ich solche Mixe herstellen kann.
In deinem Ashorecast gibt’s unter anderem auch ein Stück von Akira Yamaoka aus dem Soundtrack von Silent Hill zu hören. Wie hast du den Track entdeckt, zockst du selbst ab und zu gerne?
Videospiel-Melodien allgemein verfolgen mich schon mein ganzes Leben und an Videospielen an sich hängt immer eine gewisse Nostalgie, die mich auch heute noch fasziniert. Deswegen kommt es eben heutzutage immer mal vor, dass ich mich mit alten/neuen Videospielen und/oder ihrer Vertonung auseinandersetze. „Eternal Rest“ von Akira Yamaoka ist dafür ein gutes Beispiel, denn ich kenne es noch von früher, nur dass ich damals weder Interpreten noch Titel kannte, weil es einfach um den Inhalt des Spiels ging. Doch heutzutage triggern solche Soundtracks meine Emotionen von damals, nur dass ich solche Sachen mittlerweile mit einem ganz anderen Hörverständnis und mit einem anderem Interesse anhöre.
Es gab in der Vergangenheit immer mal Phasen, wo ich mal mehr und mal weniger gezockt habe, aber ich war niemals ein „Zocker“. Das Interesse am Spielen von Videospielen ging schlagartig zurück, als ich an meine erste DAW gekommen bin. Das war der Punkt, wo tatsächlich die Soundtracks von Videospielen mehr und mehr in den Vordergrund gerückt sind. Aktiv und intensiv spielen tue ich gar nicht mehr, aber hin und wieder packt es mich und ich erwische mich dabei, wie ich mir bei YouTube plotlastige Spiele reinziehe, als wären es Fernsehserien, haha. Ich bin zwar halbwegs im Bilde, was den Videospielkosmos angeht und irgendwo auch interessiert, aber nehme eher passiv am Geschehen Teil. Das Musikding ist zur Hauptquest geworden, haha.
Stehen für 2016 noch Veröffentlichungen von oder mit dir an?
Es stehen zurzeit vier Tapes auf unterschiedlichen Labels an, welche alle auf die Herbst- und Wintermonate gesetzt sind. Ein Tape für Seagrave Records mit Remixes von Best Available Technology, Yoshitaka Hikawa und Micromelancolié. Ein Collabo-Tape mit dem Homie Benito aus San Francisco auf dem fränzösischen Label Hylé Tapes und zwei weitere Tapes auf WTFisSwag, wovon eins eine Re-Issue von meiner „All The Seasons“ EP von 2014 sein wird. Alle Tapes unterscheiden sich (klanglich und von der Stimmung) sehr voneinander, was ich selber völlig cool finde, weil ich immer noch sagen kann, dass sie sich voll und ganz in meinem Spektrum befinden, ohne dass ich mich für irgendetwas verbogen habe.
Tracklist
1. Best Available Technology – No. 37 – Running To You – Working Nights
2. Akira Yamaoka – Eternal Rest – Silent Hill (PSX) OST – Konami
3. Misel Quitno – Im Halbhohen Gras – Sleep Over Pieces Vol.1 – Everest Records
4. Dirk Leyers – Come To Where I Go – Wellen EP – Kompakt
5. Chapelier Fou – Polish Lullaby – Deltas – Ici D’Ailleurs
6. Tehn – Incapacity
7. CoH – Utopia – Me Too – Mask Of Birth – Raster-Noton
8. Glia – BEKBIT – Folds
9. Raphael Leray – Heterostatic – MONOLITH – Hylé Tapes
10. Victor Vaughn – Rae Dawn (Instr.) – Vaudeville Villain – Sound-Ink
11. Sculpture – Zyprazol – Zyprazol – Tapebox
12. Andy Petr – Bye Bye Troop
13. The Long Lost – Your Own Backyard
14. Birdy Earns – Zen
15. Ssaliva – Cicruit Fade – Pantani – Leaving Records
16. Gender Sanshin Trio – ポール・マウによるアンビエント・リミックス
17. Cluster – Es War Einmal – Sowiesoso – Sky Records
Birdy Earns kann man bei Facebook, Soundcloud und Bandcamp folgen.
Fotos: Paul Magura