02.09.2015  /  Sascha  /  Kategorie: Podcasts

Sich auf dem Land in jungen Jahren für House und Techno zu begeistern, ist gar nicht so leicht. Zumindest dann, wenn man als Indie-Snob beim Anblick scheitelgegelter Proleten und tiefergelegter VW-Golfs lieber schnell Reißaus machen als mitfeiern will. Doch im Intro-Forum, meiner damaligen Anlaufstelle Nummer eins in Sachen Musik, öffneten mir Leute wie Henning Renken, Gunther oder Frank P. Eckert zum Glück nach und nach die Augen und Ohren. So auch Carlos de Brito, dem ich ganz besonders viele Entdeckungen und Plattenkäufe zu verdanken habe. Nicht nur durch besagtes Forum, sondern auch durch seine damals noch zahlreichen Artikel für die Groove, Spex und andere Medien. Carlos’ Passion für House mit Popkante und beseelt-funky Edits traf (und trifft) auch meinen Nerv und ließ mich mein ohnehin mageres BaFög regelmässig ins Fatplastics Jena tragen.

cdb by matzehielscher

Später teilte ich mit Carlos auch mal die Decks im Rosi’s und noch immer sind wir im musikalisch regen Austausch. Immer wieder flasht mich seine scheuklappenfreie Herangehensweise beim Auflegen, der ehrliche Spaß, den er dabei an den Tag legt und seine Allrounder-Fähigkeiten, die ihn bei einer Hochzeitsfeier genauso gut aussehen lassen wir in der Booth der Panorama Bar. Umso mehr freut es mich, dass Carlos den neuesten Ashorecast für uns gemixt und auch gleich noch ein paar Fragen rund ums Auflegen, Schreiben über Musik und seinem Mix an sich beantwortet hat.

Carlos, durch Facebook und diverse Sets von dir weiß ich, dass deine Sammlung längst nicht nur House umfasst, sondern wild und weit in zahlreiche Stile hineinreicht. Womit fing es bei dir an und was hat dich schließlich zum DJ gemacht?
Im Nachhinein betrachtet waren von mir zusammengestellte Tapes, die ich auf dem Schulhof für 50 Pfennig, ähm, Zusammenstellungsgebühr für Freunde aufgenommen habe, so etwas wie der Anfang. Kein Mixing. Einfache, aber liebevoll zusammengestellte Tapes.
Der Vater eines Schulfreunds hat im Umfeld der Labels/Vertriebe Bernhard Mikulski/ZYX gearbeitet. Damit hatte ich früh direkten Zugang zu Hip-Hop und US House: EPMD, Public Enemy, The House Sound of Chicago, etc. Damit hatte sich zufällig eine Quelle aufgetan, die sicher sehr prägend für mich war. Ebenso wie meine Arbeit als Teenager in einem CD-Verleih. Für Spätgeborene: Den muss man sich wie eine Videothek für Musik-CDs vorstellen, wo man sich CDs ausgeliehen hat, um sich diese daheim anzuhören auf Cassette zu kopieren; CD-Verleihe existierten von Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger bis die ersten tauglichen CD-Brenner auf den (Massen-)Markt kamen, dann war Schluss. Ein solch großes Musikarchiv mit alter und neuer Musik aus allen Stilen zur Verfügung zu haben, gab es sonst nur wenn die Eltern krasse Musikfreaks waren (bei meinen nicht der Fall) oder erst viele Jahre später mit den aufkommenden Tauschbörsen im Netz. Soviel kurz zu Musikbegeisterung und verschiedenen Stilen.

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Das Auflegen kam dann Ende der Neunziger über meinen Mitbewohner, der plötzlich zwei 1210er plus Mixer mit in die WG einbrachte. Damit konnte man die Drum’n Bass- und House-Scheiben, die man sich über die Zeit zugelegt hatte, auch mal mischen. Irre Sache, das. Bis dahin war ich ausschließlich Musikhörer und -konsument und hatte das auch nicht vor zu ändern. Irgendwann 1999 gab’s dann aber dann das erste Booking. Gig. 2000 in Berlin hat mich dann ein Arbeitskollege ins Mischen von House-Platten eingeführt und damit dann endgültig angefixt. Während des Studiums habe ich regelmäßig in Köln aufgelegt und zwei Jahre lang mit einem Kumpel in Siegen eine Veranstaltungsreihe mit elektronischer Musik organisiert, wo allmonatlich ausschließlich wir beide hinter den Decks standen. Die erste Residency, gewissermaßen. Seit meiner Rückkehr nach Berlin vor rund neun Jahren lege ich regelmäßig nebenher auf.

Was waren die letzten drei Platten, die du dir gekauft hast?

Kai Alcé – Take a Chance (The Dubs) (NDATL Muzik): Schöne, leider künstlich arg verknappte Veröffentlichung von Kai Alcé mit zwei Highlights von Larry Heard: Der Full Ambient Acid Instrumental Dub unter seinem Mr.-Fingers-Alias schafft es gleichsam knarzig, treibend und verträumt zu sein, das ist ein ziemlicher Hit. Der Larry Heard Dub wiederum tänzelt auf der Klinge allzu gefälliger Caféhousemusik, ist aber ein Sahnestück.

Isolée – Favouride (Pampa): Hmmm, die hab‘ ich nicht gekauft, die kommt erst noch. Aber das ist derzeit so eine Nummer, die nicht unter drei bis vier Durchläufen aus der Playlist fliegt und deswegen zu meinen Favoriten zählt. Nuancenreiche und druckvolle Produktion, verhallte Kinder- und Frauenchöre, weiche Filter, Geklöppel. Alles dabei.

José Padilla – Wolf Müller Dubs (Feel International): Danke übrigens nochmals für den Hinweis, ich habe mir noch eine ergattern können, die war schnell weg. Die Wolf-Müller-Sachen sind allesamt spannend, hier haben wir Maultrommeln, Wasserläufe, Gorillas, Lazer, Tribalgesänge und und und… das Ganze polyrhythmisch. Einmal für den Dancefloor, einmal für die Hängematte. Spitzenplatte.

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Neben deinem regulären Job und dem Auflegen bist du auch hin und wieder als Autor für diverse Magazine wie Spex oder Groove unterwegs. Wie bist du zum Schreiben über Musik gekommen? Und derzeit liest man deinen Namen nicht mehr so häufig unter Artikeln oder täuscht der Eindruck? Falls nicht, mangelt es eher an Zeit oder Interesse?
Ich habe recht früh angefangen (Musik-) Magazine zu verschlingen, so mit der Tempo ab 1990, dann Spex 1992, Melody Maker, New Musical Express und The Face aus England, die Groove ab Mitte der Neunziger und die de:bug von Beginn an, also 1997. Verhältnismäßig spät, 2004, habe ich den Entschluss gefasst, im Bereich Musikjournalismus aktiv zu werden. Ich habe bei der Spex als Praktikant angefangen, noch unter der Kölner Crew mit Uwe Viehmann, Markus Hablizel, Tobias Thomas, Stephan Glietsch und Wolfgang Frömberg. „Eine jetzt oder nie“-Aktion. Daraufhin folgte eine jahrelange freie Mitarbeit, ab 2006 gab es die ersten Artikel von mir für die Groove.
Der Eindruck, dass ich derzeit allerdings weniger schreibe, täuscht nicht. Einerseits ist das einem Mangel an Zeit neben meinem Job geschuldet, anderseits – und da ist es bei mir recht ähnlich wie Finn Johannsen es in eurem Interview ausführlich dargelegt hat – gibt es diverse Faktoren, warum das so ist. Erstens, weil man sich nach zehn Jahren über Musik schreiben doch viel wiederholt, insbesondere bei Plattenrezensionen und wenn man es fast ausschließlich mit instrumentaler Musik zu tun. Mir fällt es zunehmend schwer, da noch etwas Gehaltvolles beizusteuern. Zweitens, weil mit stetig zunehmender persönlicher Vernetzung und Freundschaften viele Künstler und Platten wegfallen, ich kann da kaum mehr objektiv und unabhängig drüber schreiben, egal wohin der Daumen zeigt. Dann schreibe ich lieber nichts dazu. Und drittens auch weil zeitlicher Aufwand und Honorare in wenig akzeptablem Verhältnis stehen. Dennoch werde das weiterhin im Auge behalten und man wird in Zukunft hier und da auch wieder (längere) Texte von mir lesen.

Inzwischen dürftest du in Berlin in so ziemlich jedem Club gespielt haben, auch darüber hinaus kommst du gut rum, ganz ohne eigene Produktionen. Wird es irgendwann auch mal eigene Tracks von dir zu hören geben oder bleibt es beim Auflegen?
Die Frage bekomme ich in letzter Zeit häufiger gestellt, teilweise auch nicht mehr als Frage, sondern als Ansage: Carlos, du musst unbedingt was produzieren. Tja, muss ich das? Nur soviel: Vorerst bleibt es beim Auflegen, aber wer weiß.

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Danke für deinen Mix! Wie und wo hast du ihn aufgenommen, gab es eine Idee dazu?
Danke zunächst einmal für die Anfrage. Ursprünglich wollte ich für dich einen Konzept-Mix nur mit B2-Stücken machen; dem (meist) letzten Stück auf einer Maxi, wo sich immer mal wieder die eigentlichen Highlights einer Veröffentlichung verstecken. Ich hatte auch soweit meine Auswahl mehr oder weniger fertig gestellt, dann hat sich aber zeitlich ein Mix für einen Freund reingemogelt, der die Idee hatte, seine Geburtstagsparty an einem für (fast) alle Beteiligten unbekannten Ort zu veranstalten. Dabei sollten alle Geburtstagsteilnehmer auf dem Weg zu einem rund 80 Minuten entfernten Ort im Berliner Umland den gleichen Soundtrack im Auto hören und gewissermaßen auf dem gleichen Energielevel ankommen. Also habe ich ein paar aktuellere Sachen und ein paar ältere persönliche Favoriten daheim zusammen mit zwei 1210ern und einem Vestax PMC46 MK2 gemischt, ein bisschen im Auge behaltend, dass die Auswahl nicht zu edgy für die Geburtstagsmeute ist. Und weil ich mit dem Ergebnis im Großen und Ganzen ganz zufrieden bin, es noch Sommer ist und ich dich auch nicht länger warten lassen wollte, ist das jetzt zweitverwertet ein ashore-Podcast. Ich hoffe, das ist ok.

Wo kann man dich demnächst mal wieder als DJ erleben?
Sicherlich bald mal wieder in Berlin und anderswo. Ich trage meine Termine immer wieder nach und neu auf meinem Soundcloud-Profil ein.

Tracklist

1. James Yorkston – Woozy With Cider (Dusty Cabinets Remix) [Domino]
2. DJ Koze – XTC [Pampa Records]
3. Joy Orbison & Boddika ‎– TMTT [Not On Label]
4. Adesse Versions – Modal [Make Love in Public Spaces]
5. Oskar Offermann – Drive Me Home Please [White]
6. Johannes Klingebiel – Latewood [Feines Tier]
7. Genius Of Time – Drifting Back [Royal Oak]
8. Shades Of Gray – Back to the Future (Peter Horrevorts Remix) [Beef Records]
9. Mad Rey – Quartier Sex [D. KO Records]
10. Africanism presents Soha – Les Enfants du Bled [Yellow Productions]
11. Westbam & Nena – Oldschool Baby (Smallpeople Version) [Fuck Reality]
12. James Johnston – I Know It’s Not Time [No Matter What]
13. SSOL – Untitled A [SSOL 001]
14. Secret Squirrel – Untitled B [Secret Squirrels 08]
15. Merle – Mimi Likes 2 Dance [Stripped & Chewed]
16. Nebraska – The Time Has Come [Rush Hour Recordings]

Carlos de Brito kann man bei Soundcloud und Facebook folgen.

Fotos:

1) Matze Hielscher (Titelbild)
4) Deborah Brunswick (plus Podcast-Bild)