28.02.2015  /  Sascha  /  Kategorie: Podcasts

Genregrenzen ignorieren oder noch besser gleich ganz sprengen. Was bei vielen DJs eher wie ein Wunschtraum klingt, lässt Falk aka Shape seit Jahren an den Decks Wirklichkeit werden. Ich erinnere mich gerne an eine Nacht in Jena, in der Shape neben dem Platz am Pulverturm auflegte und von HipHop über Bass Music zu den Beatles sprang, auf dem Weg noch Funk, Fat Freddy’s Drop und House mitnahm und alles Sinn und vor allem Spaß machte, was man an reichlich wackelnden Ärschen und breitgrinsenden Gesichtern erkannte. Aber auch schon zuvor und immer wieder danach überraschte mich Falk an den Decks. Seine Plattensammlung ist ein kleines Lexikon der Musikhistorie und als Mitbegründer der Chopy Wood-Reihe in Jena hat er den Sound der Stadt entscheidend mitgeprägt.

Shape

Inzwischen hat es Falk von Jena über Halle und Berlin nach Leipzig verschlagen. Wir fragten einmal nach, wie es ihm dort gefällt, was es mit seinem neuesten Party-Baby namens Tube auf sich hat und wie er vom Musikliebhaber zum leidenschaftlichen Vollblutdigger wurde. Obendrauf gibt es von Shape einen Ashorecast, den er “zu Hause, mal stehend, mal sitzend, mal gedreht, mal geschoben” aufgenommen hat. Herausgekommen ist ein wilder einstündiger Trip entlang der Koordinaten Juke, Footwork und Jungle mit Tracks von Mark Pritchard, Mala, Kode9, Traxman, DJ Rashad, Dubtronix und vielen mehr, der mit genauso viel Wumms wie Tiefe um die Ecke kommt. Big up!

Hallo Falk, was waren die letzten drei Platten, die du gekauft hast und warum?
Hi, da seien mal die drei relevantesten aus den letzten zehn bis fünf zehn genannt.

Ras G – Down 2 Earth Volume 2 (The Standard Boom Bap Edition): Tolles Album aus der Beat-Leftfield-wasauchimmer-Ecke, das sich komplett durchhören beziehungsweise auch in den richtigen Momenten ein paar mal in Schleife hören lässt. Aus Sicht des Otto Normalhörers bestimmt mehr Astrotravellin’ als Down 2 Earth und nicht zwingend Boom Bap, aber ein Titel bleibt auch nur ein Titel. Perfekter Soundtrack für die nächste Reise ins All oder für den Weg zum Supermarkt. Wer roughe, experimentelle Sounds mag, sollte auch im Labelkatalog von Leaving Records stöbern.

Reginald Omas Mamode IV – As We Move: Großartige funkig-soulige 6-Track EP, alles roh und organisch, so wie es mir taugt. Lässt direkt einen oder mehrere Gliedmaßen zucken. Generell sind die Releases der ganzen 22a-Posse, also Al Dobson Jr., Mo Kolours, Tenderlonious und Henry Wu, wärmstens zu empfehlen. Ebenso wie große Teile der Diskografie des Labels Five Easy Pieces, auf welchem die EP erschien.

Chester Watson – Tin Wooki: 17-jähriger Rapper und Beatproduzent, der auf seinem Debüt direkt mal unter Beweis gestellt hat, dass er beides besser kann als so einige alte Hasen im Geschäft. Mit einer Stimme, für die man mit 17 wahrscheinlich schon mit 10 angefangen haben muss zu rauchen. Aber mal Alter außen vorgelassen, extrem solides, lässiges Rap-Album mit genauso frischen Gastproduzenten, und bei über 24 Tracks kein bis kaum ein Blindgänger. Uuund hier ebenfalls: Label, ne.

Du bist in letzter Zeit recht oft umgezogen – hassen dich deine Freunde mittlerweile? Wenige Platten hast du wahrscheinlich nicht gerade.
Da gibt es bestimmt ein paar spontane Ausweichtermine bei den Helfern, die schon mal mittragen mussten, wenn ich für den nächsten Umzug fragen würde. Nein, also die Kontakte zu den Freunden, die mich bei der Buckelei unterstützt haben, sind danach nicht abgebrochen, aber ich glaube, in der selben Frequenz wie die letzten Jahre muss es nicht gleich wieder passieren (die angesprochenen Personen seien an dieser Stelle mit einem Dank gegrüßt). Andererseits ist das auch zu relativieren. Die Sammlungen einiger Leute im Umfeld haben ganz andere Ausmaße und bei deren Umzug würde ich nur hoffen, dass da mehr als genug Träger zusammenkommen.

Shape

Deine Plattensammlung umfasst auch ein breites Spektrum: Wie genau sieht dein musikalischer Werdegang aus?
Angefangen um 2000 als Fan von Conscious Rap und ein paar deutschen HipHop-Künstlern, habe ich mich danach weiter mit allem möglichen naheliegenden auseinandergesetzt, 80er-, 90er-Rap aller Couleur, Gangster, Jiggykram und dann Soul, Funk, Jazz hauptsächlich über die Samples meiner favorisierten Rapsongs. Über einen relativ kurzen Exkurs zu Drum’n’Bass um 2004 bis 2005 ging die Reise auf die britische Insel zu Grime, TripHop und später zu Dubstep weiter. Um 2008 begann dann der Sound groß zu werden, der meistens mit Beats, Glitch, Wonky etc. umschrieben wird, der für mich bis heute einen ziemlich großen Einfluss hat. Mit der Zeit haben sich viele der Artists aus der Brokenbeats- und Bassschiene zum House und Techno bewegt. Da zuvor auch schon über die ganze Detroit-Rap-Bewegung um Jay Dee, Waajeed etc. der Zugang zu House-Interpreten wie Theo Parrish oder Moodymann nicht weit entfernt war, war die Bewegung der britischen Künstler zur geradlinigeren Kickdrum mir auch zugänglicher. Nebenher gab es eigentlich nichts, was ich generell ausgeschlossen habe, nur vielleicht die Bezüge dazu gefehlt haben. Was über lange Zeit in diesem Werdegang über die Genres geblieben ist, war, dass mich immer Tracks mit einer gewissen Gebrochenheit, Funkyness und Vocals oder Vocalfetzen angesprochen haben. Daher denke ich, bei aller Scheuklappenfreiheit doch immer einen gewissen Bezug zu den Wurzeln nicht abgelegt zu haben. Davon einmal abgesehen, sind mit der Zeit auch noch Platten dazu gekommen, die recht frei von diesem chronologischem Strang irgendwo eingeschwappt sind, weshalb auch afrikanische Musik, Indie oder Ambient bei mir rumsteht. Am Ende bleibt alles ein gleich berechtiger Part. Auch wenn immer mal der Eindruck aufkommt, ich hätte mich für eines der Genre hingegeben, läuft bei mir meistens alles parallel.

Wie behältst du bei den tausenden von Veröffentlichungen jeden Monat den Überblick?
Den gesamten Überblick kann ich auch nicht behalten. Ich investiere schon alle mögliche Zeit dafür, mich durch den Berg an Neuerscheinungen durchzuschaufeln, aber es gibt immer noch genug Momente bei einem Gespräch mit Freunden oder im Club, bei denen ich noch überrascht werden kann. Zum Glück. Das ist mein Elixir, immer weiter zu suchen. In neuem als auch altem Material. Den Weg der Exploration kann ich schwer eingrenzen. Ich schaue immer, was meine favorisierten Artists und Labels einfach neues rausbringen, höre viele Mixe, Radioshows, durchstöbere Blogs, tausche mich mit DJs und Musikfans aus etc. Dabei kann man oft nur sehr kurz in die Tracks hören, um viel vom ganzen Spektrum zu erfassen. Das führt aber auch dazu, die Perlen manchmal zu schnell zu überspringen.

Shape

Online-Digging oder Wühlkisten? Was bevorzugst du?
Ich kann nicht sagen, dass ich eine der beiden Jagdmethoden bevorzuge. Eher geht es für mich darum, von beiden Varianten so viel wie möglich Vorteile zu nutzen. Bei der Wühlkiste hat man schon mal eine Auswahl, die der Plattenladen- oder Flohmarktstandbesitzer vorher getroffen hat. Die enthält oft viele Sachen, die man zuvor gar nicht auf dem Radar hatte. Man kann die Platte (insofern ein funktionierennder Plattenspieler vorhanden ist) durchhören, in voller Qualität und hat dabei seltener dieses zu schnelle durchgeskippe wie im Web. Man kann ausprobieren, wie ein Track sich auf unterschiedlichen Geschwindigkeiten anhört, kann sich Klappcover auch mal von innen anschauen und so weiter. Das ganze Werk um eine Platte, die Haptik, der Sound etc. geht viel weiter als im Internet für mein Gefühl wahrnehmbar. Das würde ich nie missen wollen. Trotzdessen bietet natürlich das Internet ein viel größeres Spektrum, als es jemals ein Plattenladen beherbergen kann. Ich erfahre dort schon viel zeitiger von kommenden Veröffentlichungen, habe sofortigen Zugang zu beinahe jeder Musik, kann mir auf bestimmten Seiten einfach die Samples von unzähligen Tracks ausspucken lassen und habe Austausch mit Leuten aus aller Herren Länder. Das nutze ich, um zumindest erstmal den schnelleren und weiteren Überblick zu bekommen. Weil man am Ende trotzdem wieder online nicht alles erfassen kann, muss es halt die ausgewogene Mischung aus on- und offline bleiben. Grundlage dafür sind natürlich auch genügend Läden in erreichbarer Umgebung, wovon mir in Leipzig momentan leider noch einige fehlen. Das Diggen in der Wühlkiste hört dann gänzlich auf, wenn es zu einer Veröffentlichung überhaupt keinen physischen Release gibt, was in einigen Sparten oft der Fall ist. Trotzdessen, was gesammelt werden kann, wird eingekreist, auch wenn am Ende nur noch Toastbrot mit Ketchup auf den Teller kommt.

In den letzten Jahren hat es dich von Jena über Halle und Berlin nach Leipzig verschlagen. Was schätzt du an Leipzig?
Nach Leipzig hat mich die ausgewogene Mischung an Groß- und Kleinstädtischem gebracht. Es gibt für mich hier ein erfüllendes Angebot an Kunst und Kultur, aber auch noch fruchtbarem Boden für Entwicklungen. Es gibt eine Menge toller Läden, an denen ich genauso schnell bin wie in der Natur. Das Leben ist erschwinglich und ich mag die Mentalität der Leute. Leipzig hat die richtige Geschwindigkeit für mich, alles wirkt etwas entspannter und authentischer als in meinen vorherigen Wohnorten, was mir wichtig ist.

Shape

Vor kurzem fand in Halle die erste Tube-Party statt. Was kannst du dazu sagen – und ganz besonders zum Verlauf eurer letzten Nacht?
Für die Tube war die Idee, aus dem Klubkontext herausgerissen eine Veranstaltung an einem noch nahezu unbekannten Ort zu organisieren. Der Trott in den gewohnten Umgebungen hat uns getrieben und ein Lost-Places-Buch von Halle die Vorlage gegeben. Mit tatkräftigen Helfern (auch hier Grüße und Danksagungen) haben wir dann zwischen Dickicht, Mauerwerk und Staubhaufen einen kleinen Undergroundschuppen hergerichtet, und selbst an einen so entlegenen Fleck hat es eine ganze Menge Leute getrieben. Bis fünf Uhr war die Stimmung, nicht zuletzt wegen unseren Gasts Paul Ormanns recht aufgeheizt, würde ich behaupten, bis uns dann doch die Männer im grünen Gewand aufgespürt und saure Gurken gespielt haben. Mit denen ließ sich jedoch verhandeln und für die kommende Idee müssen sie uns erstmal wieder finden.

Wie und wo hast du deinen Mix für Ashore aufgenommen. Und hattest du ein bestimmtes Konzept dafür im Kopf?
Zu Hause, mal stehend, mal sitzend, mal gedreht, mal geschoben, mit den Platten, auf die ich Bock hatte, und mit Serato, wenn die nur digital da waren, auf die ich Bock hatte. Ein tieferes Konzept wäre in dem Fall, glaube ich, zu weit gegriffen, aber das Feld zwischen Juke/Footwork, Jungle und anderen Spielarten finde ich nach wie vor noch interessant.

Wo kann man dich demnächst wieder auflegen hören?
07.03. Kombinat Süd, Jena

20.03. Goldhorn, Leipzig

27.03. Centrum, Erfurt
03.04. Centrum, Erfurt
17.04. Goldhorn, Leipzig
20.04. Kassablanca, Jena
30.04. Alte Feuerwache, Mannheim

02.05. Freund & Kupferstecher, Stuttgart

Tracklist

1. Mark Pritchard – ?
2. Odetta – Sakura
3. East Flatbush Project – Tried By 12 (Machinedrum Footwork Edit)
4. DJ TRE – Ping Pong Trak
5. Traxman – This Shit Go Hard
6. DJ Taye – Cherokee
7. DJ Earl – Park It
8. Jlin – Battle Trak
9. DJ Chap – EU4IA
10. Dawn Day Night – Voodoo Vibe
11. Om Unit & Moresounds – Nuff Music
12. Dubtronix – Joy (Original Mix)
13. Danny Breaks – Step Off (Splash Remix)
14. Poison Chang – Press The Trigger (Half Breed Remix)
15. Mala – Left Leg Out (Legend4ry Put His Foot In It Mix)
16. Addison Groove & Sam Binga – Thr3id
17. Kode9 & The Spaceape – Chasing A Beast
18. Kode 9 – Time Patrol (Shake It Maschine Remix)
19. Phillip D Kick – Krome + Time – The License (Footwork Edit)
20. DJ Krome & Mr Time – The Licence
21. DJ Rashad – Muthafukin Bass
22. DJ Taye – Turn Up
23. DJ Manny – Harvey Ratchet
24. Peshay – The Piano Tune
25. DJ Buz – Slave Special
26. Dillinja & Berty B – Lion Heart
27. Birdy Earns & Broshuda – Kammer

Shape kann man bei Facebook, Soundcloud und auf seiner Website folgen.

Fotos: Lena Kunze und Olivier Colin (4)