A&P Raves, EDM und SFX zum Trotz: elektronische Musik bleibt für viele auch weiterhin eine echte DIY-Herzensangelegenheit. Doch während es die meisten DJs dabei von den Plattenspielern zum Veranstalten eigener Nächte führt – sei es aus Mangel an Auftrittsmöglichkeiten oder weil es der Rest einfach nicht kann -, lief es bei Wiebke Pranz alias Elin genau anders herum. Seit knapp zehn Jahren veranstaltet sie nun schon Partys, zunächst in Lüneburg, später dann in Hamburg, und kam erst gegen 2009/2010 selbst zum Auflegen. Doch schon diese kurze Zeit reichte ihr, um sich einen Ruf als versierte Selektorin und DJ mit einem feinen Gespür für House mit Tiefgang zu erarbeiten. Diesem wird sie nach wie vor nicht nur selbst an den Decks gerecht, sondern auch als Bookerin des Golem und Host der Dear-Nächte, die regelmäßig im Golem oder Golden Pudel Club stattfinden und schon DJs wie Floating Points, Tama Sumo, Kyle Hall und viele mehr in die Hansestadt brachten. Wir baten Elin um einen Ashorecast und sprachen mit ihr über Dear, den Golem und welche Veranstalter gerade sonst noch in Hamburg für spannende Nächte verantwortlich sind.
Wiebke, bevor du selbst mit dem Auflegen angefangen hast, warst du schon als Veranstalterin aktiv. Wie kam es dazu und wann hast du dich dann auch selbst an die Decks gestellt?
Zum Veranstalten bin ich vor etwa zehn Jahren dank des defizitären Nachtlebens Lüneburgs gekommen. Es gab ein lokales Kollektiv namens Sonic Fiction, das abseits von dem, was regulär geboten wurde, regelmäßig Technopartys veranstaltet hat, und dem ich mich angeschlossen habe. Das war zwei oder drei Jahre lang eine großartige Erfahrung, aber irgendwann war da der Wunsch, meine persönlichen musikalischen Vorlieben in eigenen Veranstaltungen umzusetzen. Außerdem motivierte es mich, als Frau in einer männlich geprägten Szene selbst etwas auf die Beine zu stellen. Als einzige Frau in einem ansonsten männlichen Kollektiv wird man – gar nicht mal von den anderen Kollektivmitgliedern, aber von Außenstehenden – nämlich gern als dekorativer Anhang verstanden, während den Jungs die Organisationsarbeit zugeschrieben wird. Also habe ich angefangen, eigene Partys zu organisieren. Zuerst in Lüneburg unter dem Namen Wake Up (wobei diese Reihe mittlerweile sehr schön von einem Freund als Veranstaltung und gleichnamiges Plattenlabel weitergeführt wird) und dann später in Hamburg unter dem Namen Dear.
Und irgendwann nach sechs Jahren des Veranstaltens und unzähligen Partys habe ich mich dann selbst an die Plattenspieler getraut. Das hat mich ziemliche Überwindung gekostet, weil ich ein Mensch bin, der sich nicht gern exponiert und das ist man ja beim Auflegen; exponiert. Aber die Überwindung hat sich gelohnt, weil ich gemerkt habe, dass ich erst in dem Moment, wo ich auch selbst das Warm-up oder Closing bei einer meiner Veranstaltungen spielen kann, so richtig drin bin. Ich will damit keineswegs sagen, dass jeder Veranstalter auch Auflegen sollte, aber mir persönlich hat es schon geholfen, beide Seiten zu kennen und zu wissen, wie das Ganze funktioniert und wie es sich anfühlt, da zu stehen. Ganz zu schweigen von dem Spaß.
Noch dazu glaube ich, dass jeder weibliche DJ eine Ermutigung für andere Frauen darstellen kann, sich selbst aktiv in eine Musikszene einzubringen, in der nunmal meistens Männer auf der Bühne stehen. Es braucht Rolemodels, um sich selbst in einer bestimmten Rolle sehen und diese anstreben zu können: You can’t be what you can’t see. Das war einer der Gründe, warum ich meine Angst überwunden habe.
Golem, Krypta
Du arbeitest auch als Bookerin für den Golem. Seit wann gibt es den Club, was zeichnet ihn aus und wie stellt ihr das Monatsprogramm beziehungsweise das Line-up der jeweiligen Nächte zusammen?
Der Golem ist ein Ort in Hamburg, welchen es seit nunmehr vier Jahren gibt. Eigentlich ist er als Bar gestartet, in der hin und wieder auch mal Lesungen oder Konzerte stattfinden sollten. Da sich aber insbesondere der versteckte Raum im Untergeschoss großer Beliebtheit erfreute, ist dieser inzwischen zu einem Miniclub mit angeschlossenem Kino umgewandelt worden. Trotzdem ist der Golem sehr viel mehr als ein reiner Club. Wir zeigen Filme, die weit ab vom Mainstream sind, organisieren Lesungen und Diskussionen mit Schwerpunkt Nationalismus- und Kapitalismuskritik, Gender, Musik und Kunst und investieren viel Zeit und Liebe in die Entwicklung und Zubereitung von Cocktails und anderen Getränken. Der Golem ist also eine Art Mischwesen aus Bar, Konzertort, Gedankenwerkstatt und Club und insofern ist auch die Zusammenstellung des Programms ein sehr spannendes Austarieren von Inhalten und deren Zusammenwirken.
Hinzu kommt, dass wir viele Veranstaltungen kostenfrei anbieten und selbst am Wochenende nur 4 bis 6 Euro Eintritt nehmen, sodass der Ort möglichst vielen Menschen zugänglich bleibt. Für mich als Bookerin ist es natürlich schwieriger mit so einem kleinen Budget bekannte Künstler einzuladen. Aber die vergangenen zehn Jahre haben doch ein gewisses Netzwerk mit sich gebracht und viele Musiker schätzen auch die Intimität, die sich ihnen im Golem bietet. Sie kommen in eine Bar, gehen durch eine Geheimtür in der Bücherwand und kommen in diesen Club, der gerade mal 80 bis 100 Leute fasst, und wissen, dass sie dort einfach einen guten Abend haben werden, weil alles sehr liebevoll und mit Blick aufs Detail gemacht ist. Und die meisten unserer Gäste kommen tatsächlich mehrfach oder – so wie das Robert Johnson, DJ Jus-Ed, Jenifa Mayanja und die Leute vom Uncanny Valley-Label – gleich regelmäßig einmal im Jahr. Solche externen Bookings gepaart mit tollen lokalen DJs und Veranstaltern machen das Golem zu einem Ort, an den man eigentlich jedes Wochenende gehen kann, selbst wenn man mal nicht ins Programm geschaut hat.
Seit 2009 veranstaltest du im Golem die Dear-Nächte. Wie oft finden diese statt, wie sieht deine Booking-Politik aus und gibt es einen Dear-Moment aus den vergangenen fünf Jahren, an du dich besonders gerne erinnerst?
Die Reihe fand zunächst im zweimonatigen Rhythmus im Ego statt, aber irgendwann habe ich den Ort gewechselt und auch den Turnus aufgeweicht, sodass es durchaus vorkommen kann, dass ich in einem Monat zwei Veranstaltungen mache und dann sechs Wochen Ruhe ist. In der Regel muss ich mich jedoch eher bremsen als andersrum. Die meisten meiner Abende finden mittlerweile im Golem statt und ein par Mal im Jahr bin ich auch in meinem anderen Hamburger Lieblingsclub, dem Pudel. Eine Bookingpolitik im dogmatischen Sinne gibt es nicht. Ich lade Leute ein, deren Veröffentlichungen oder Musikauswahl ich schätze, und so divers wie mein Geschmack ist dann auch die Auswahl an KünstlerInnen, die für Dear gespielt haben. Da sind eher abgefahrene Sachen wie Kyle Hall, Helena Hauff oder Funkineven dabei, Soulperlen wie Fatima oder Floating Points, Houseklassiker wie Mike Huckaby und Scott Grooves, aber auch die etwas härtere Gangart von Levon Vincent oder der Acid eines Tin Man passen perfekt zu Dear und werden immer ihren Platz dort finden. Ich versuche da gar keine strengen stilistischen Grenzen zu ziehen, weil das alles für mich zusammengehört.
Nach der 5-Jahre-Dear-Feier mit Floating Points, Andrew Ashong und Andras Fox
Was bei Dear hingegen sehr wichtig ist, ist der persönliche Bezug. Ich lade sozusagen musikalische Herzensangelegenheiten ein und das merken die Gäste auch. Ich würde niemals jemanden für Dear ‘buchen’ nur weil er oder sie ‘funktioniert’ – eine solche Herangehensweise ist mir fremd. Ich lade nur Gäste ein, deren Musik ich wirklich schätze und die ich gerne hier in Hamburg haben möchte. Insofern gab es unzählige Abende, die mir als besonders im Gedächtnis geblieben sind. Denn tatsächlich holt man, wenn man so bucht, nicht nur tolle Musiker, sondern in der Regel auch wirklich feine Menschen. Und das macht eine Party für mich als Veranstalter zu einer wirklich guten Party.
Du meintest einmal, dass du an Hamburg die “gute Vernetzung und den freundschaftlichen Charakter innerhalb der Szene” schätzt. Gibt es auch etwas in der Stadt, das deiner Meinung nach fehlt oder stört?
Also, abgesehen davon, dass man hier auf St. Pauli an jeder Straßenecke in mindestens drei Bekannte läuft und mir manchmal ein bisschen die Anonymität einer richtigen Großstadt fehlt, kann ich nicht klagen. Zumal dieser Umstand dadurch ausgeglichen wird, dass man auch ohne Begleitung jederzeit ausgehen und schnell Anschluss finden kann. Schön finde ich, dass derzeit viele frische Veranstalter wie zum Beispiel Music Sounds Better, Woodwork, Fluth und Lehult, aber auch DJs wie Nina, Semi Silent, Tussn, Beykin und Epikur die Hamburger Musikszene beleben.
Vielen Dank für deinen Mix! Wie und wo hast du ihn aufgenommen? Und hattest du ein bestimmtes Konzept dazu im Kopf?
Als Perfektionistin habe ich den Mix recht umständlich in mehreren Anläufen zusammengestellt. (Es wurden mehrfach Stücke rausgeworfen und/oder wieder reingenommen.) Aufgenommen habe ich das Ganze dann im Golem mit zwei Plattenspielern und einem Pioneer-Mixer. Wie bei meinen Dear-Nächten auch, habe ich nur Platten ausgewählt, die mich ungeachtet ihrer Aktualität persönlich berühren. Und zumindest bei den ersten Stücken habe ich mich ein bisschen vom Motto “Drift Ashore” leiten lassen.
Wo kann man dich demnächst mal wieder als DJ erleben und was ist für die kommenden Monate bei Dear geplant?
Da ich im ersten Quartal des neuen Jahres eine Auflegepause einlegen möchte, wird man mich erstmal nicht so schnell wieder hinterm DJ-Pult erleben. Aber wenn ich dann wieder soweit bin, werden wohl ein Termin im IFZ in Leipzig, eine Keep it Deep-Party in Freiburg und ein Date in Kopenhagen anstehen.
Zudem gibt es ein paar Dear-Dates in den ersten Wochen des neuen Jahrs, die schon fix sind, unter anderem mit Orson Wells (24.01.), der auch in meinem Mix zu hören ist, Dakini 9 (30.01.) und Don Williams (07.03.). Zudem hoffe ich, dass Marea aka The Black Madonna im nächsten Jahr wieder einen Stop bei mir einlegen kann und dass es endlich klappt, John Swing, Mr. G, Generation Next und San Soda nach Hamburg zu holen!
Wir drücken die Daumen, dass es klappt, vielen Dank für den Mix und das Interview!
Tracklist
1. Scott Grooves – French Rd
2. Orson Wells – Sky Trafic
3. Julius Steinhoff – Hey You
4. Denis Clifford – Miracles Of Matter (Jus-Ed Remix)
5. Da Rebels – House Nation Under A Groove
6. O B Ignitt – Mysterious
7. Spank Spank – Jam Session (DJ Duke Edit)
8. Fudge Fingers – Light In My Life
9. Marco Shuttle – Dontuwant
10. Donato Dozzy & Tin Man – Test 7
11. Smallpeople – Nofretete
12. DJ Qu – Hi Life
13. Delano Smith – Constellation
14. Generation Next – Vanilla Sky
Elin kann man bei Soundcloud folgen, alle Infos und Termine zu Dear gibt es bei Facebook oder auf der Dear-Website.