24 hours isn’t enough – diese Lebensweisheit prangt nicht nur auf dem Pulli von Dittsches Imbisswirt Ingo, sondern gilt neben den restlichen sechs Tagen der Woche ganz besonders für den Sonntag. Die Handbremse unter den Wochentagen, entschleunigt er doch unseren Alltag ungemein, lässt eine Pause zu und – wenn auch immer noch für gerade mal 24 Stunden – Ruhe einkehren. So wie die Musik von Niklas alias Cass. aus Osnabrück, der, glaubt man seinem Twitter-Profil, ein “electronic and ambient musician at the borderline between organic and digital soundscapes since 1879” ist. Ein ganz Stückchen jünger ist er dann doch, aber der Rest stimmt. Nachzuhören unter anderem auf seinem wunderbaren Debütalbum Loops & Farewell Sketches, der Split-7-Inch oder dem seit kurzen auch auf Tape erhältlichem Orange Blossoms & Odd Paws.
Wir baten Cass. um einen Ashorecast, und das Ergebnis sind knapp 46 Minuten perfekter Soundtrack für entspannte, hoffentlich nie endende Sonntage wie heute und den entschleunigten Alltag im Allgemeinen. Mit dabei sind unter anderen Mark McGuire, Trouble Books, Virginia Astley, Kuupuu, F.S. Blumm, Twigs & Yarn oder Golden Disko Ship, ein Sound irgendwo zwischen Ambient, Folk und Pop auf Narkosemitteln – perfekt! Außerdem sprachen wir mit Niklas über Osnabrück, Field Recordings, seine DJ-Sets und vieles mehr.
Hi Niklas, du bist in einem kleinen Dorf in der Nähe von Osnabrück aufgewachsen und hast bereits zeitig – vor sechs Jahren – mit dem Produzieren begonnen – bedingt das eine, die ländliche Ruhe (um es nicht Langeweile zu nennen), das andere, die Musik als kreative Flucht? Oder was sonst begeisterte dich so zeitig für experimentelle Musik und ihre Produktion?
Hm, also Musik, und insbesondere solche Art von Musik ist und sollte immer kreative Flucht nach hinten sein, weil sie eben auch vom Ansatz her entschleunigend wirken soll oder es zwangsläufig tut. Somit ist es schon eine gewisse Art von Flucht ins Private. Ich habe natürlich nicht von Anfang an das gemacht, was ich heute mache, im Gegenteil. Ich wäre froh und dankbar, wenn die frühen Sachen nie gefunden werden.
Ich bin mir recht sicher, dass der momentane Output schon mein Heimathafen ist, weil ich dort am unbefangensten rangehen kann und es auch ein gutes Ergänzungsstück zu dem ist, was du gerade meintest, also einer Naturverbundenheit zum Beispiel oder ähnlich spätromantischer Dinge. Somit sind speziell diese Musik und eben auch Natur, glaube ich, ganz klassische Rückzugsorte, aber nicht nur für Musiker. Dass der Ort, wo man aufwächst, eine prägende Wirkung auf das Schaffen eines jemanden hat, das glaube ich ganz bestimmt. Aber es ist niemals der alleinige Grund für das, was man wie macht.
Cass. – Rustling And Pure (Loops & Farewell Sketches)
Wie würdest du einem Außenstehenden die Musikszene von Osnabrück beschreiben? Regiert eher der Frust bei dir oder gibt es Hoffnung, ist die Stadt gar ein unterschätztes Mekka? Gibt es für dich viele Auftrittsmöglichkeiten, egal ob als DJ oder live? Und es soll auch einen guten Plattenladen geben…
Ich denke, dass die Stadt unterschätzt wird und immer noch mehr zu bieten hat, als so manch andere Stadt der Größe. Das liegt sicherlich an der mittlerweile hohen Clubdichte und vielen Leuten, die eben nicht nur im Proletenmilieu aktiv sind, sondern wo die Musik schon eher eine vordergründige Rolle spielt. Aber dennoch sind die Möglichkeiten hier recht begrenzt, wenn man musikalisch wirklich mal völlig quer gehen will. Dafür ist es dann eben doch nur für viele eine Durchgangsstadt und keine Metropole, die Dinge wie audiovisuelle Performances oder ähnliches in der Form zulässt, dass man nicht am Ende des Abends da steht und sich fragt, wofür man sich hier eigentlich die Mühe gibt.
Cass./Altars Altars – 7″ Preview
Auftrittsmöglichkeiten gibt es sicherlich. Innerhalb verschiedenster Konstellationen haben sich doch schon einige Partyreihen etabliert, wo es Spaß macht zu spielen und man nicht kurz vor Mitternacht noch verzweifelt vorm Plattenregal steht und doch wieder alles reinschiebt. Aber zugegeben: Außerhalb ist dann doch oft interessanter. Was Liveauftritte angeht, ist es eher schwierig, was mich persönlich aber weniger trifft, da ich bei Livesets schreckliches Lampenfieber habe, noch.
Und es gibt tatsächlich einen interessanten Plattenladen hier, viel mehr zwei in einem. Ein Freund macht seit kurzem IM umgezogenen Shock Records den Second-Hand-Laden Monarch Recordstore mit Raritäten aus verschiedensten Bereichen. Von Kraut, Ethno und Jazz bishin zu experimentellem Kram ist da vieles bei. Die Virginia Astley-Platte aus dem Podcast ist zum Beispiel dort her.
In deinen DJ-Sets gibt es auch viel House und Disco zu hören – arbeitest du an Tracks in die Richtung? Und ist die Enttäuschung der Leute oft groß, die Ambient von dir erwarten?
Nein, und selbst wenn ich es versuche, endet es in der Regel immer am völlig entgegengesetzten Punkt. Die wenigsten Sachen, die ich als DJ spiele, reizen mich auch selbst zu produzieren, da ich mit dem, was ich im Studio mache, viel mehr ausdrücken kann als mit Drum Machine und Moog. Aber das Auflegen ist für mich eine tolle Sache, weil man eben (fast) alles spielen kann, was man will und die Musik von den Leuten verbreiten kann, die man selber schätzt.
Du hast bereits mit anderen Künstlern (Locoto, Sieren, Essáy, Altars Altars) zusammengearbeitet und Neubearbeitunen von Nils Frahm oder Christopher Willits angefertigt – gibt es so etwas wie Traumkollaborationen für dich?
Mh, nein. Kollaborationen laufen bei mir in den wenigsten Fällen produktiv ab, also in den Fällen, wo man wirklich Stücke zusammen macht. Ich glaube, dass ich schon sehr eigen mit dem bin, was ich mir vorstelle und umsetzen will, von daher bin ich dann doch oftmals ganz froh, für mich alleine die Sachen auszuarbeiten.
Cass. – Falmer Sea Piano I (Loops & Farewell Sketches)
In deinen Stücken sind auch viele Field Recordings zu hören. Du meinst, es wäre schwierig, noch Plätze (und ebendort Sounds) zu finden, die nicht schon tausende Male verwendet wurden. Wo findest du noch spezielle Orte für deine Aufnahmen?
Das stimmt. Aber Fieldrecordings ereilt da das gleiche Schicksal wie jeden anderen x-beliebigen Sound, egal ob Drums, Synthsounds etc. Alles hat es irgendwo schonmal irgendwie verpackt gegeben, somit kommt es letztendlich auf den Rahmen und eben auf das „wie“ an. Was mich aber vor allem stört, ist, dass man wirklich kaum noch Orte findet, zumindest in den Gegenden hier, wo es absolut still und naturbelassen ist. Kein Auto, keine Flugzeuge, keine Fußgänger, keine Autobahn. Nur weil man es nicht sieht, heißt es nicht, dass man es nicht hört. Das normale Alltagsleben aufzufangen in Form von Straßenbahn, Busverkehr oder Menschenmassen, was auch viele machen, finde ich persönlich meist eher unästhetisch und störend.
Was mich eher noch reizen würde, wären exotische Dinge – afrikanische Marktplätze, Regenwald, völlig andere Kulturfeste, Stammesgesänge etc. Das ist zwar das Gegenteil von ruhig, hat für mich aber mehr naturbelassene Substanz und ist weitaus interessanter als Industrieausläufer, Autoverkehr und eben all die Sachen, die man im alltäglichen Leben en masse ertragen muss.
Wie kann man sich dein Studio vorstellen, arbeitest du rein digital oder eher im vollausgestatteten Gear-Himmel – oder irgendwo dazwischen?
Ich besitze eigentlich kaum Hardware, außer einige Glockenspiele, kleinere Spielzeuginstrumente oder ähnliches. Achja, ein altes Klavier habe ich kürzlich ersteigert. Ein kleines Harmonium fehlt mir noch, und dieses Marxophon sieht auch sehr interessant aus.
In den großen (und kleinen) Clubs sind die Ambient- und Chill-out-Rooms weitesgehend verschwunden, wer heute Ambient sucht, muss auf spezielle Festivals, Konzertabende, in den Plattenladen oder natürlich ins Internet. Welche drei “Einstiegsdrogen” im Bereich Ambient würdest du jeden Interessierten ans Herz legen – kurz: Nenn uns bitte drei deiner liebsten Ambient-Alben!
Solche beliebten Fragen sind ja bekannterweise bei dem, der sie beantworten soll, eher ungern gesehen, ich versuche es trotzdem mal. Immer noch gerne höre ich:
- Bryter Layter – Two Lenses (Students Of Decay, 2011)
- Swod – Sekunden (City Centre Offices, 2007)
- Ulf Lohmann – On Frozen Fields (Kompakt, 2005)
Vielen Dank für deinen tollen Mix – hattest du ein spezielles Konzept dafür; wie und wo wurde er aufgenommen?
Nein, kein Konzept. Zu hause, spätabends, mit meinem Platten.
Was folgt als nächstes bei Cass.? Welche Auftritte stehen an und auf welche Releases können wir uns freuen?
Also ich würde gerne im Sommer die nächste 7-Inch aus der aamu-Serie rausbringen, doch dafür brauche ich erstmal wieder viel Geld, somit wird sich das noch etwas hinauszögern. Was aber auf jeden Fall ansteht ist ein C-20 Tape bei einem kleinen belgischen Label und ganz vielleicht eine neue LP Ende des Jahres oder nächstes Jahr. Das nächste DJ-Set spiele ich in Münster zusammen mit Smallvilles’ RVDS. Und ein Liveset ist im April geplant, da darf ich aber noch nicht mehr verraten.
Mit Stücken von Mark McGuire, Trouble Books, Virginia Astley, Kuupuu, F.S. Blumm, Twigs & Yarn, Golden Disko Ship u. v. m.
Cass. kann man auf Facebook, Soundcloud, Twitter oder Tumblr folgen.