Ich weiß noch, wie ich das erste Mal in den Farbfernseher kam: Tür auf, sofort mittendrin. Mike Huckaby an den Decks, es lief abgedrehter Jazz von Sun Ra und die Leute haben es geliebt. Nun macht der kleine Laden in Kreuzberg Ende Mai leider zu. Einerseits ein Wunder dass er sich bis jetzt dort halten konnte, anderseits umso mehr ein Trauerspiel, dass das Ende nun kurz bevorsteht. Doch bevor es so weit ist, lädt Carlos de Brito nochmal zur ganz großen Party. Jeder DJ, der bisher bei seiner zweimonatlichen Partyreihe dabei war, hat auch für dieses Mal zugesagt – jeder eine Stunde, das volle Programm. Mit dabei sind also unter anderem Richard Zepezauer, Diwa, Langenberg, Gunther, Liza und ich. Doch neben der Schließung des Farbfernsehers gibt es noch einen eher feierlichen Anlass für diese Party: Carlos hat Geburtstag! Beziehungsweise hatte, und genau deshalb haben wir mit ihm schonmal vorab auf 3 Kurze angestoßen und nachgefragt, was zuletzt so bei ihm in der Sammlung landete.
Tilman – Three Sunsets – Fine (2019)
„Three Sunsets“ von Tilman, erscheinen auf seinem mit Johannes Albert co-geführten Label Fine, ist seit Wochen bei mir im harten Dauereinsatz. Ich werde mir Mühe geben müssen, es nicht zu tot zu hören. Andererseits: es enthält viele Elemente, die dagegen sprechen und es wahrscheinlich in meinen persönlichen Pantheon der unkaputtbaren Stücke erheben werden: Wunderschöne Pianomelodien, jazzig gesprenkelt und in Dialog gesetzt, ein Vocalsample, irgendwo zwischen sehnsüchtig und euphorisch, also bittersüss, und eine treibende Kick. Einzig das abrupte Ende ist – nicht nur aus DJ-Sicht – etwas störend, aber eventuell auch der Trigger im Alltag nochmals auf Replay zu drücken. Ansonsten steht da ja auch noch der Rest des tollen Albums “Tales And Reactions zum Hören bereit. Instant hit.
Tour-Maubourg – Albatros – Pont Neuf Records (2018)
Weiter geht’s mit Pianosamples und der euphorischen Melancholie. Hier gesellen sich noch rollende Jazz-Drums und sattes Saxophon dazu. Den jungen, französischen Produzenten Tour-Maubourg habe ich erst mit Verzögerung, zum Release seiner dritten Maxi auf Pont Neuf Recordings entdeckt, dafür dann so richtig. Aus seiner Handvoll herausragender Stücke habe ich “Albatros” von seiner aktuellen Maxi “Solitude Collective” ausgesucht, übrigens mit tollem Coverartwork von cm-dp. Ob das jetzt eher anregender Acid Jazz für daheim oder ein hibbeliger Deep-House-Banger für den Club ist? Ich denke, es ist beides. Modern kann man das so oder so nicht nennen, dafür aber: zeitlos schön.
Pacific Coliseum – Wave Catalyst (Seb Wildblood UKG Flip) (2019)
Bleiben wir bei sehnsüchtig und tanzbar. Bei Seb Wildblood als Remixer läge nicht nur aufgrund seiner EP Jazz Vol. 1 die Vermutung nahe, dass wir es mit einem ähnlich gelagerten Track wie den beiden obigen zu tun haben. Doch hier ist nicht Jazz the teacher, sondern Ambient. Seb Wildbloods Bearbeitung von “Wave Catalyst” (aus der letztjährigen Maxi “Ocean City”, die übigens mit gleichnamigen Track, basierend auf Goyas wiederentdeckte Klassiker House at Sea, einen kleinen Hit bereithält) entfernt dem Original die balearische, etwas kitschige Gitarre und rührt stattdessen (der Remixtitel verrät’s) einen gebrochenen UK-Garage-Beat drunter. Eine gelungene Verlagerung aus der kontemplativen Horizontale in die Vertikale, mitten auf den Dancefloor. Butter.
Wer Carlos de Brito nicht eh schon durch seine grandiosen DJ-Sets kennt, der hat vielleicht einen seiner vielen Artikel für die Groove, Spex und andere Medien gelesen. Carlos’ Passion für House mit Popkante und beseelt-funky Edits traf schon 2015 in Form seines Ashorecasts genau unseren Nerv.